Explanans: Konditionalaussagen sind keine Kausalaussagen

Die Gesetzesaussage, die zum Explanans einer Erklärung zählt, hat in der Regel die Form einer Konditionalaussage, die nicht mit einer Kausalaussage verwechselt werden darf.

Konditionalaussage

Eine Konditionalaussage hat die Form: „Wenn …, dann … .“ Im Wenn-Satz wird die Bedingung genannt, im Dann-Satz das Bedingte. (Nach der Form des Wenn-Satzes kann man unterscheiden zwischen „Immer wenn“-, „Nur wenn“- und „Immer und nur wenn“-Sätzen.)

Kausalaussage

Eine Kausalaussage hat die Form: „Weil …., deshalb … .“ Im Weil-Satz wird die Ursache genannt, im deshalb-Satz die Wirkung. Ursache ist etwas anderes als Bedingung und Wirkung ist etwas anderes als etwas Bedingtes. Worin besteht der Unterschied?

Unterschied zwischen Konditional- und Kausalaussagen

  1. Eine Ursache geht der Wirkung zeitlich voraus. Eine Bedingung kann dem Bedingten zeitlich vorausgehen – oder folgen.
  2. Eine Ursache ist räumlich mit der Wirkung verbunden. Eine Bedingung kann mit dem Bedingten räumlich verbunden sein – oder auch nicht.
  3. Auf die Ursache folgt die Wirkung mit Notwendigkeit. Ist die Ursache gegeben, dann ist es unmöglich, dass die Wirkung ausbleibt. Das ist bei der Beziehung Bedingung – Bedingtes anders. Wenn die Konditionalaussage lautet: „Nur wenn …, dann… .“, dann kann die Bedingung gegeben sein und das Bedingte dennoch ausbleiben.

Das ist eine sehr einfache Darstellung des Unterschiedes zwischen Konditional- und Kausalaussagen. Aus der Vielzahl der philosophischen Kausalitätstheorien wurde lediglich eine, allerdings eine klassische, herausgegriffen und modifiziert dargestellt, nämlich David Humes Ansatz. Gegen alle drei Merkmale der Kausalbeziehung kann man gute Argumente anführen. Für welche Kausalitätstheorie man sich auch entscheidet, ob für Humes oder eine andere: Entscheidend ist, dass man Konditional- und Kausalitätsaussagen nicht unreflektiert gleichsetzt.

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Der Unterschied zwischen Konditional- und Kausalaussagen in sozialwissenschaftlichen Fachbüchern

Der Unterschied zwischen Konditional- und Kausalaussage ist keineswegs eine subtile Differenzierung pingeliger Philosophen. Es sind ja die Soziologen selbst, die die Methode der Erklärung und somit die allgemeinen Gesetzesaussagen ins Spiel bringen. Dann sollte man aber auch wissen, was man da vor sich hat: haben die Gesetze die Form von Konditionalaussagen oder von Kausalitätsaussagen? Oder ist das egal?

Entscheidend ist, dass man Konditionalaussagen oder Kausalitätsaussagen nicht verwechselt. Das Problem scheint vielen Soziologen gar nicht bewusst zu sein. Ein paar Zitate aus zwei „Standard“werken:

Schnell, Hill, Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung, 1999, 6. Auflage

„Die korrekte Erklärung des zu erklärenden Phänomens (Explanandum“) „Ausländerfeindlichkeit“ erfolgt nun über eine logische Deduktion (Ableitung) aus dem Gesetz („Wenn …, dann … „) und der Kontrolle des empirischen Vorliegens der Ursache („Randbedingung“ oder „Antezedenzbedingung“) (1999, S. 56, Kursiv im Original, Fettdruck nicht im Original)

Die Autoren erkennen nicht, dass die Deduktion und die Erklärung zwei entgegengesetzte Anwendungen eines Syllogismus sind. Entweder man sucht für ein gegebenes Explanandum ein Explanans (= Erklärung). Oder man leitet aus einem gegebenen Explanans ein Explanandum ab (= Deduktion).

Zweitens setzen sie Ursache mit Randbedingung oder Antezedenzbedingung gleich. Der Unterschied zwischen Kausal- und Konditionalaussagen entgeht ihnen.

Esser: Soziologie. Allgemeine Grundlagen, 1999, 3. Auflage

„Gesetze verbinden die Ursachen mit Folgen, indem sie die Folgen als Funktion der Ursache benennen.“ (1999, S. 41)

Der Satz ist konfus: Was tun die Gesetze: Verbinden sie Ursachen mit Folgen (damit meint Esser wohl Wirkungen)? Dann wäre ein Gesetz wie eine Brücke, die Ursache und Wirkung räumlich verbindet. Oder benennen Gesetze die Folgen als Funktion der Ursache? Verbinden und Benennen sind zweierlei, aber das ist Esser wohl einerlei.

„Formal können diese Funktionen sehr unterschiedliche Gestalt haben: Ein Satz von der Art „wenn …, dann …“ oder „je …, desto … „; eine mathematische Funktion (mit y als „Folge“ und x als „Ursache“: etwa in der Funktion y = a + bx); oder ein Diagramm des Zusammenhangs der beiden Größen.“(1999, S. 41)

Ob Konditionalaussage, ob Kausalaussage oder gar keine Aussage (Ein Diagramm ist nun wirklich keine Aussage): Esser akzeptiert alles …

… genauso übrigens wie die Verlagslektoren und die Fachkollegen, die Jahre Zeit hatten, um solche Fehler zu erkennen, zu benennen und dafür zu sorgen, dass sie beseitigt werden. Oder sollten sie die Fehler nicht einmal erkannt haben …?

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